Ansprüche und Bedürfnisse
Das „ICH“ reflektiert und unterscheidet
aus Paul Lahninger: Reise zur Lösung, ManagerSeminare, Bonn 2010, S 362f
Das ICH trifft Entscheidungen
Es erweist sich als hilfreiches Modell der menschlichen Psyche, von der Vorstellung auszugehen, dass das „ICH“ eine innere Instanz ist, die Entscheidungen trifft, während das „SELBST“ alle Aspekte der eigenen Persönlichkeit liebevoll annimmt. Dieses „ICH“ entspricht der Rolle des Gärtnerns, in der wir pflegen, düngen und ausgewählte Pflanzen nutzen. Das „SELBST“ entspricht der Rolle des entspannten Genießens, in der wir uns einfach freuen, in einem Garten zu sein, dessen Vielfalt und Buntheit wir wahrnehmen.
Diese beiden Positionen: das ICH wie das SELBST schauen auf eine Fülle von Impulsen im eigenen Innenleben. In dieser Fülle lassen sich 2 Arten von Impulsen deutlich unterscheiden: Bedürfnisse und innere Ansprüche.
Bedürfnisse als innere Instanz
Bedürfnisse treten spontan auf, sie erlauben spielerischen Umgang, können eine Qualität haben, die wir seit unserer Kindheit kennen: etwas gerne zu tun, freudvoll, frei. Auch das Empfinden: „ich möchte, ich würde gerne…“ passt zum Wahrnehmen von Bedürfnissen, wie auch Träume zu haben, kreativ zu sein, Anstrengung als lustvoll zu erleben. Diese Impulse, auch „Kind-ICH“ [1] genannt, sind ein wesentlicher Aspekt von Motivation. Wenn wir Anstrengung als lustvoll erleben, fühlen wir uns im Fluss: Arbeit befriedigt und ist ein wirksamer Beitrag für Glück.[2]
Das Wort „Bedürfnis“ wird unterschiedlich verwendet: jedes Motiv kann als Bedürfnis bezeichnet werden. In diesem Abschnitt spreche ich vom ursprünglichen Ausdruck der eigenen Lebendigkeit, gut beobachtbar an Kindern. Hier die Einteilung der Grundbedürfnisse von Max-Neef, nach www.wikipedia.de:
Subsistenz (Überleben), Schutz, Zuwendung, Verständnis, Partizipation, Kreativität, Identität, Freiheit, Muße (Entspannung, Spiel)
[1] Eric Berne: Die Transaktionsanalyse in der Psychotherapie, Paderborn. 2. Auflage 2006, Junfermann Verlag
[2] Siehe Felix von Cube: Lust an Leistung: die Naturgesetze der Führung, München, 10. Aufl. 2003, Piper und Csikszentmihalit, Mihaly: Flow, das Geheimnis des Glücks, Stuttgart 2001, Klett-Cotta
Ansprüche als innere Instanz
Aus einer deutlich anderen „Ecke der Persönlichkeit“ motivieren uns Regungen, die wir als Druck, als Pflicht, als Regel oder Verbot empfinden. Diese Impulse haben wir von Autoritäten übernommen und verinnerlicht, zunächst von unseren Eltern, von Lehrpersonen, von einer Gruppennorm, aus der Werbung und von Vorbildern, deswegen auch die Bezeichnung „Eltern-ICH“.
Wer früh gelernt hat, Ansprüche zu übernehmen, nimmt später leicht weitere dazu – ist sozusagen anfälliger für diese Form von Beeinflussung. Die inneren Stimmen der Ansprüche geben Halt, schaffen Ordnung, erleichtern Regelmäßigkeit und sinnvolle Disziplin. Wenn jedoch ein Anspruch die Hauptmotivation ist, wird Aktivität eher unpersönliche Pflichterfüllung sein, ein Erledigen von Aufgaben, die dann wenig erfüllend sind.
Bedürfnisse als Teamchefs
Wenn eine Persönlichkeit hauptsächlich von spontanen Bedürfnissen geleitet ist, wird sich dies in einer kindlichen Lebensweise zeigen, in Tagträumen, in Bequemlichkeit, in egozentrischen Tendenzen, aber auch in Kreativität und Spontaneität. Was fehlt sind Zielorientierung, Verantwortung und Struktur.
Ansprüche als Teamchefs
Die weit verbreitete Gefahr der Ansprüche ist, dass sich diese zum Boss der eigenen Persönlichkeit machen und fordern, abwertend, eigene Bedürfnisse übergehen. Statt Orientierung zu geben treiben sie uns an – oft auch in Situationen, in denen sie kontraproduktiv sind (z.B. als „Freizeitstress“). Solche Ansprüche bewirken negativen Stress und auch beim komplexen Phänomen „Burn-Out“ spielen sie eifrig mit, wie auch bei Schuldgefühlen. Ohne das innere Diktat von Ansprüchen können wir uns frei entscheiden, Fehler zu korrigieren und auszugleichen; wenn jedoch Schamgefühle an uns nagen, kommt das von strengen Ansprüchen, wir dürften keinen Fehler machen.
Je mehr ein Mensch sich im Innersten klein oder schwach fühlt, umso wahrscheinlicher wird das Anklammern an Ansprüche, die dann zwar Orientierung geben, jedoch den eigenen Selbstwert abhängig davon machen, dass seine Forderungen erfüllt werden.
Besonders unangenehm ist, dass mächtige Ansprüche die Selbstwahrnehmung trüben, regelrecht blind machen können für eigene Schwächen: da diese nicht erlaubt sind, schützt die „Blindheit“ davor, diese wahrzunehmen. Wir sehen dann Sachzwänge, widrige Umstände, aber nicht die eigene Verantwortung. Umso mehr kann es uns passieren, dass wir andere abwerten, die sich nicht so verhalten, wie es unsere Ansprüche fordern. Ein unbewusster Selbstschutz gegen übermächtige innere Ansprüche ist die Krankheit. Diese setzt Bedürfnisse z.B. nach Auszeit oder Zuwendung durch, auf die uns innere Ansprüche nicht hören lassen. (siehe Paul Lahninger, Widerstand als Motivation, S 110)
Die Freiheit der Wahl
Wie eine umsichtige und aufmerksame Führungskraft nimmt die innere Position des „ICH“ sowohl die Impulse der Bedürfnisse als auch die inneren Ansprüche wahr, wählt aus und trifft konkrete Entscheidungen in Abstimmung mit der äußeren Realität. Es gelingt dem freien ICH, Ziele als Prioritäten zu setzen, den Preis von Entscheidungen anzuerkennen und Verhaltensweisen zu verändern, wenn sich Situationen verändern. Das ICH klärt innere Konflikte und kommuniziert angemessen. So wird diese innere Instanz auch „Erwachsenen-ICH“ genannt. (Vorsicht, jetzt denkt der Anspruch: „aha, so sollte ich also sein!“)
Ergänzt wird diese Freiheit des Ich durch die Selbstliebe, die alle Aspekte der eigenen Persönlichkeit wertschätzend wahrnimmt.
Ich-Stärkung als Ziel
Eine wesentliche Zielvorstellung für Persönlichkeitsbildung und Coaching ist, die Instanz des ICH zu stärken, und damit Eigenverantwortung und Bewältigung von Herausforderungen zu unterstützen. Wir können uns diese Form der Selbststeuerung als „innere Moderation“ vorstellen.
Ein wirksamer Beitrag, auch für zwischenmenschliche Kommunikation ist, auf Botschaften des Anspruchs zu verzichten, da diese viel unangenehmer und oft abwertend wirken, als das direkte Ausdrücken von Wünschen und Bitten aneinander.
© Paul Lahninger, Salzburg, 2015-06-17, www.TOPSEMINARE.at, www.AGB-Seminare.at