Liebesbeziehungen bewältigen
Orientierungshilfen für eine beachtliche Herausforderung
Paul Lahninger mit Gedanken von Michèle Binswanger, Alain de Botton, Friedrich Glasl, Erich Fromm
Liebe bedeutet, zu ertragen, zu verzeihen, Unerwünschtes anzunehmen.
Differenzen sind Teil jeder Gemeinschaft: Wir ergänzen einander in unseren Unterschieden!Die Art und Weise, wie wir mit Differenzen und Konflikten umgehen, prägt eine Beziehung mehr als vieles andere. Hinderlich für konstruktive Auseinandersetzung ist das romantische Ideal der harmonischen Verliebtheit, mit der einen Person, die perfekt zu mir passt.Liebe beginnt jedoch erst, wenn das Verliebtsein vorbei ist. Liebe beschenkt alle, für die wir uns öffnen. Und indem wir unsere Liebe schenken, beschenken wir auch uns selbst. (nach Alain de Botton)
Beziehungen erfordern Aushandeln und Abstimmen
Beziehungen berühren die beiden Bedürfnisse Autonomie/Individualität einerseits und Gemeinschaft/Zugehörigkeit andererseits. Wir pendeln zwischen diesen Gegenpolen und finden immer wieder eine neue Balance, indem wir einerseits aufeinander zugehen, uns öffnen und andererseits uns abgrenzen, manchmal auch verschließen. Auch Ängste können dabei mitspielen: einerseits die Angst, Liebe zu verlieren, andererseits die Angst, die Eigenständigkeit/Identität zu verlieren.
In Paarbeziehungen werden wir immer wieder unterschiedlich viel Gemeinschaft und Intimität suchen, uns manchmal zurückgewiesen oder allein gelassen fühlen, wenn die andere Person gerade mehr Bedürfnis nach Abgrenzung empfindet. Beziehungen gelingen im Wechselspiel dieser Gegenpole.
Liebesbeziehungen brauchen ausreichende Selbstfürsorge
Innige Beziehungen lösen Empfindungen und Impulse aus, die wir schon als Kleinkind hatten: manchmal regredieren wir und fühlen uns besonders bedürftig. So kann es sein, dass wir in einer Liebesbeziehung leichter kränkbar, verletzlich, trotziger, zorniger … sind als in anderen Beziehungen.
Diese Impulse aus der Kindheit fordern uns heraus, für uns selbst zu sorgen, liebevoll und freundlich mit der eigenen Bedürftigkeit umzugehen und Möglichkeiten zu finden, uns außerhalb der Liebesbeziehung zu nähren und „aufzutanken“. Aus Selbstfürsorge gelingt Empathie und Mitgefühl. So überwinden wir die Vorstellung, andere müssten uns glücklich machen.
Wir verändern uns, Beziehungen verändern sich
Das Leben fordert uns heraus, zu lernen und uns zu verändern. Diese Herausforderung scheint in Liebesbeziehungen besonders groß: Die Partnerschaft wird zum Wachstumsbereich.
So werden sich auch unsere Beziehungen verändern. Im Idealfall lernen wir, verständnisvoller, versöhnlicher, liebevoller zu sein.
Auch Abgrenzung und Selbstbehauptung können wichtige Lernschritte sein, vor allem dann, wenn unsere Eigenständigkeit in der Kindheit oft verletzt wurde. Wenn wir meinen, andere müssten sich ändern, führt dies eher zu einem Machtkampf als zu wirksamem Lernen. Im (Di-)Stress von Vorwürfen verhalten sich Menschen durchschnittlich weniger entgegenkommend.
Krisen können wichtige Impulse zur Weiterentwicklung bringen, insbesondere zur Weiterentwicklung von Werthaltungen. Unser Umgang mit Krisen prägt unsere Persönlichkeit mehr als Ruhezeiten. (nach Friedrich Glasl)
Beziehungen brauchen Pflege: Zeit und Energie
Indem wir uns (immer wieder!) füreinander entscheiden, einander Aufmerksamkeit schenken, Gemeinsamkeiten entwickeln und leben, investieren wir Zeit, Lernbereitschaft und Entschiedenheit.
Ein hilfreiches Bild: die Beziehung wächst zwischen uns beiden. Wenn wir darauf vertrauen, dass die Beziehung weiterleben und wachsen kann, wird sich der Einsatz meist lohnen: Liebes-Beziehungen erfüllen ein tiefes Grundbedürfnis und die vielleicht tiefste Sehnsucht. (nach Michèle Binswanger)
Eine Liebesbeziehung braucht Arbeit, Arbeit an sich selbst.
Doch Arbeit allein genügt nicht, das, was uns glücklich macht, verbunden fühlen lässt, uns übereinander freuen lässt, ist mehr als das, woran wir arbeiten können. Es ist beides: Arbeit und Geschenk.
(Paul Lahninger: das Stückwerk der Liebe, Salzburg 2014)
Alain de Botton: Der Lauf der Liebe, Roman. Fischer, Frankfurt am Main 2016
Friedrich Glasl: Selbsthilfe in Konflikten, Bern 2015
Erich Fromm: Die Kunst des Liebes, 60. Auflage, Frankfurt am Main 2003